Es ist ein warmer Sommertag im August. Mir gegenüber sitzt eine Frau mit großen, wach blickenden Augen. Sie lächelt zaghaft. Ihre Nervosität vor unserem Gespräch ist für mich deutlich spürbar. Es ist nicht einfach, über sich selbst zu erzählen und so plaudern wir zunächst über ganz alltägliche Dinge und natürlich über das Wetter.
Und dann erzählt mir Anett von ihrem Alltag, von ihren zwei Kindern, von ihrer Leidenschaft für Motorcross und Fußball und auch von ihrem Job. Und plötzlich sind wir schon mitten in Gespräch und ich bitte Anett, jetzt ganz bewusst, mir etwas von sich zu erzählen.
„Ich bin 1973 geboren, bin zweifache alleinerziehende stolze Mutter, Vollblutmama, die für ihre Kinder zur Hyäne werden kann.“ Den letzten Halbsatz betont sie stark, bevor sie dann eher leise weiterspricht. „Ich habe einen sehr ausfüllenden Beruf, bin im medizinischen Bereich tätig. Wenn meine Zeit es erlaubt, treffe ich mich gerne mit Freunden, wir gehen zu Fußballspielen. Im Stadion zu sein ist für mich wie in meinem zweiten Wohnzimmer und ich genieße die Atmosphäre, das Nervenkitzeln, wenn mein Lieblingsverein spielt. Ich bin eine ganz normale Frau, mit Ecken und Kanten, aber ich bin auch eine Frau, die sich nicht mehr verbiegen mag, die ihr Leben wieder lebt.“ Das war deutlich und noch bevor ich nachfragen kann, spricht die 44-jährige direkt weiter.
…frei und selbstbestimmt leben.
„Weißt du“, sagt sie „man kann immer viel von ´frei und selbstbestimmt leben´ lesen, aber was das für einen bedeutet und wie schwer der Weg dahin ist, das verrät einem keiner.“ Und dann erzählt sie mir von ihrer letzten Partnerschaft, von erlebten Enttäuschungen, von ihrer Wut und ihren Ängsten, von Selbstzweifeln und geringer Wertschätzung. Ihre Sätze klingen meist traurig, ab und an auch noch wütend. An noch vielen Worten ist ihre Verletzlichkeit deutlich spürbar. „Heute“, sagt sie „weiß ich, dass das Ende einer Partnerschaft nicht das Lebensende ist. Ich kann es akzeptieren, weil ich mir bewusst mache, dass es neue Wege geben wird. Im Moment wünsche ich mir keinen Partner. Ich genieße das Alleinsein und die Unabhängigkeit. Und wenn irgendwann…, ach, das wird sich ergeben oder nicht.“ Anett vollendet den Satz nicht, aber ich frage dennoch, was sie sich von einer Partnerschaft wünscht, was ihr wichtig ist.
„Liebe, Ehrlichkeit, Vertrauen, Treue und vor allem Akzeptanz. Ich wünsche mir einen Mann, der meine Stärken und meine Schwächen lieben und damit umgehen kann, der mich schätzt und der meine Kinder akzeptiert. Aber das sind doch ganz normale Wünsche, selbstverständlich für eine Partnerschaft, meinst du nicht?“ Ich nicke.
„Ich möchte in einer Partnerschaft einfach nur so sein können, wie ich bin“, nimmt die 158cm große Frau das Gespräch wieder auf und erzählt mir, dass sie trotz ihrer Lebensfreude nie ganz mit sich zufrieden sein kann, sich manchmal weniger wert fühlt, aber auch, dass sie gerne lacht und tanzt, andere mit ihrer Fröhlichkeit und mit ihrem Humor ansteckt und einem Partner nicht nur Frau sondern auch Kumpel sein mag und kann. „Ich kann den Anderen so akzeptieren und lieben wie er ist, ihm Raum lassen, das ist eine meiner Stärken“, sagt sie nun selbstbewusster.
Spielst du manchmal eine Rolle, frage ich. Und welche Rolle in einem Theaterstück wäre die Deine?
Da ist sich Anett ziemlich sicher. „Jeder von uns spielt doch meist mehrere Rollen: Tochter, Schwester, Mutter, Freundin… aber es ist wichtig, nicht nur zu spielen, was die anderen erwarten, sondern bei sich selbst zu bleiben. In einem Theaterstück, da wäre ich gerne eine Prinzessin oder ein Burgfräulein, und nicht nur, weil ich romantische Schlösser mag. Aber manchmal wäre ich auch gerne die Hexe. Siehst du, selbst im Theater ist es schwierig, sich auf eine Rolle festzulegen.“ Und jetzt lacht sie so locker und herzlich.
Anett sitzt mir gegenüber, dreht ihr Glas in der Hand und scheint weit in ihren Gedanken zu sein. Ich schaue die attraktive Mittvierzigerin an, ihre blonden, gut frisierten und dennoch nicht gestylt wirkenden Haare, ihre optimistisch strahlenden Augen, das kleine Lächeln um ihre geschwungenen Lippen. Anett vermittelt mir viel Kraft und Mut, aber auch ein wenig Melancholie.
Woran denkst du gerade, frage ich leise.
„An den Tod meines Vaters vor etwa zwei Jahren. Das war einer der traurigsten Momente in meinem Leben. Eigentlich habe ich aber gerade an die vielen Tiefpunkte in meinem Leben gedacht, zum Beispiel an den Aufenthalt in einer psychosomatischen Klinik. Es gab Zeiten, da war ich so unzufrieden mit meinem Leben, fühlte mich ungerecht behandelt, hatte nie Zeit für mich, mir war alles zuviel, ich hatte Panik-Attacken… Da war ich, wie sagt man so schön „ganz unten“. Und dennoch haben genau diese Phasen meinem Leben die entscheidenden Wendungen gegeben. Das muss man erst einmal erkennen. Heute bin ich mir bewusst, dass ich für mich kämpfen kann und, vor allem, es auch will.“
Und welche Momente waren in deinem Leben besonders schön, was bedeutet Glück für dich und was wünschst du dir, frage ich.
„Glück heißt für mich, dass meine Familie, meine Freunde und natürlich ich, gesund bleiben, meine Familie zusammen bleibt, denn ich bin ein großer Familienmensch. Ich wünsche mir, dass meine Kinder den von ihnen eingeschlagenen Weg weitergehen und ich sie begleiten kann, wann immer sie das mögen. Ja, und besondere Momente in meinem Leben, das waren die Geburten meiner Kinder. Ich hatte mir zwar nicht gewünscht, beide alleine groß ziehen zu müssen, aber es war richtig und mit dem heutigen Blick, auch gut.“
Alleinerziehend, was hat das für dich bedeutet?, hake ich an dieser Stelle bewusst nach und Anett berichtet mir zunächst von ihren Zweifeln, sich vom Vater ihrer Kinder zu trennen, weil die Beziehung für sie nicht mehr gut war. Ihren Ängsten, in der Erziehung nicht alles richtig zu machen, von Streitigkeiten mit ihrem Expartner vor allem in finanziellen Dingen und von der ewig knappen Zeit, von Vorlesen, Spielen, Kochen, Schulaufgaben kontrollieren. „Denn du musst Mutter und Vater ersetzen, bist immer der erste Ansprechpartner für die Kinder. Am Abend bin ich oft so erschöpft ins Bett gefallen, aber ich bereue den Schritt keinesfalls. Meine Kinder und ich haben diese turbulente Zeit richtig gut gemeistert. Wir waren und sind ein gutes Familienteam!“, sagt Anett stolz.
Und was wünschst du dir für die Zukunft? Hast du einen Herzenswunsch, wie man so schön sagt?
„Leben und genießen!“, sagt Anett spontan. Und das klingt, als ob sie schon oft darüber nachgedacht hat, sich ganz sicher ist. „Und einmal Valentino Rossi live erleben, das wäre ein richtiger Herzenswunsch.“ Sie lacht.
Wir haben fast drei Stunden miteinander erzählt. Die Zeit ist so rasch vergangen. Anett hat im Gespräch ihre anfängliche Scheu rasch verloren und mir alle Fragen mit einer großen Offenheit beantwortet. Ich habe ihr gerne zugehört.
Zum Abschluss unseres Gesprächs bitte ich Anett, mir noch drei Sätze zu vervollständigen. Jetzt schaut sie wieder etwas skeptisch, lässt sich aber dann rasch darauf ein.
Ich kann besonders gut
– kochen.
Andere denken über mich
– keine Ahnung, ist mir aber auch egal.
Ich bin einzigartig, weil
– ich mich nicht verstelle. Und wer mich nicht mag, soll mich doch von hinten anschauen!
Sie lacht fröhlich und ansteckend, wirft den Kopf in den Nacken – toll war der Nachmittag!
Anett, geboren 1973, Mutter von zwei Kindern, im medizinischen Bereich tätig
Interview: August 2017