Nur langsam bewegt sich der schwarze Zeiger der dicken runden Bahnhofsuhr. Viel zu langsam, denke ich. Während ich auf dem Bahnsteig hin und her wandere, meine braune Tasche mit Kamera und Schreibutensilien noch einmal prüfe, geht mein Blick immer in die Richtung aus der in wenigen Minuten Nadas Zug ankommen wird.
Und dann ist es soweit. Der Zug rollt ein, Nada steigt aus. Keiner von uns beiden zögert nur eine Sekunde. Wir umarmen uns und Nada lacht, dieses ansteckende fröhliche Lachen, was ich an ihr so besonders mag.
Nada, die sich selbst gern als Best Ager oder Frau im besten Alter bezeichnet, steht mir gegenüber, in Hotpants, hohen Schuhen und farbigen Söckchen. „Ich ziehe an, was ich mag,“ sagt sie keck, „das Leben ist nicht schwarz-weiß, sondern bunt für mich. Manche meinen, ich sei ein Paradiesvogel. Ich sehe das positiv und außerdem interessiert mich nicht wirklich, was die Anderen von mir oder über mich denken.“ Na, das ist ja mal ein Anfang, denke ich und lächle zurück.
Farben spielen in Nadas Leben eine große Rolle. Schon an ihrer Kleidung kann man erkennen, erzählt sie mir, ob sie sich gut oder weniger gut fühlt. „Ich trage dann eher dunkle Farben“, sagt sie, ergänzt aber direkt, „wenn es mir dann besser geht, ziehe ich mich sofort um. Minirock und knallrote Gummistiefel…“
Wir bummeln in Richtung Rheinufer. Nada hat sich bei mir untergehakt. Sie ist an den Augen erkrankt. Während sie mir darüber erzählt, bittet sie mich, das Wort Leiden nicht zu verwenden. Sie meistert ihren Alltag allein, selten nur mit Hilfe von Dritten. Karl-Schorsch, wie sie ihren Blindenstock liebevoll nennt, ist ihr verlängerter rechter Arm und kein Handicap. „Er gehört eben zu mir.“, sagt sie bewusst. Mein Gegenüber strahlt Selbstvertrauen aus. „Das ist in den letzten Monaten enorm gewachsen“, erklärt mir Nada, „seit ich als Model für Fotografen arbeite.“
In einem kleinen Café haben wir Kuchen und Cappuccino bestellt. Nada erzählt mir, dass sie als junges Mädchen immer von einer intakten Familie mit Kindern in einem schönen Haus geträumt hat. Als sie ihren Mann kennen- und lieben lernt, erfüllt sich ihr Traum. Sie leben eine harmonische Partnerschaft, lassen einander viel Freiraum, ohne die gemeinsame Zeit zu vernachlässigen. Sie lieben, lachen, leben ihr Glück. Doch dann verstirbt ihr Mann plötzlich und sie ist allein mit zwei Kindern. „Zwei und sieben Jahre alt waren unsere Kinder zu diesem Zeitpunkt“, sagt Nada leise. „Das war eine sehr schlimme Zeit für uns. Ich habe versucht stark zu sein. Ich habe gearbeitet, den Haushalt geführt, versucht unseren Kindern den Papa zu ersetzen. Manchmal habe ich nicht gewusst, wie es weitergehen kann. Aber ich habe nicht aufgegeben.“, sagt sie noch leiser und wendet ihren Kopf ab. „Ich habe damals innerhalb eines Jahres viele liebe Menschen verloren. Das war keine gute Zeit. Das hat viel Kraft gekostet. Und dann bin ich selbst schwer krank geworden.“, erzählt sie weiter. „Ich habe erst viele Jahre später trauern können, habe meine Ängste, meine Wut, meine Sorgen innerlich weggeschlossen. Das hat mich krank gemacht. Aber ich wollte leben, wollte gesund werden, für meine Kinder und für mich. Ich weiß nicht, ob ich an diesen Schicksalsschlägen gewachsen bin.“ beantwortet sie meine, nur gedachte Frage. „Ich genieße heute das Leben, nehme mir bewusst Zeit. Ich lebe!“
Kannst du dir heute eine neue Partnerschaft vorstellen?, frage ich Nada.
„Weniger, denn ich bin ängstlich geworden. Es gab einen neuen Mann in meinem Leben, aber dieser hat mich während unserer Beziehung sehr verletzt. Heute habe ich so viel Selbstvertrauen, dass ich stolz sagen kann, wer mit mir in einer Beziehung leben möchte, muss mich so akzeptieren, wie ich bin. Vielleicht kommt ja tatsächlich irgendwann mein Prinz.“, schmunzelt sie.
Ihr Märchenprinz sollte viel Zeit für Nada und ihre Familie mitbringen. Auch möchte sie mit ihm über `Gott und die Welt quatschen können´. Zusammen mag sie die Natur genießen, das gemeinsame Leben bunt machen, ohne dass Geld eine zentrale Rolle spielt. „Und vor allem liebevoll zu mir und zu sich selbst sollte er sein“, träumt die zierliche Frau weiter.
Nada lebt mit ihren zwei erwachsenen Kindern und deren Partnern in einem Haus. Mehrgenerationen-Haus nennt sie es und fügt hinzu: „Wir sind eine gut funktionierende WG, unterstützen uns, leben miteinander ohne ein böses Wort. „Ich bin sehr stolz auf meine Kinder.“,betont sie.
Und wenn Nada verreist, ist immer ein Familienbild dabei.
Bilder spielen im Leben der gutaussehenden Best-Agerin inzwischen eine wichtige Rolle. Nada modelt. „Zuerst fand ich das ziemlich affig, aber so nach und nach ist mein Selbstvertrauen gewachsen. Ich stehe gerne vor der Kamera, am liebsten für fröhliche Bilder, für Bilder mit Lebensfreude.“
Verrückt sein, Lachen, Genießen, das lebt Nada heute. Ausgerechnet ein Arzt hat sie zum Modeln motiviert, verrät sie mir. Und als die Fotografen sich an ihrer Augenkrankheit nicht stören, hat sie sich auf ihr neues Hobby eingelassen. „Ich mache am liebsten Fashion und Porträt. Aber ich könnte mir auch vorstellen, in andere Rollen zu schlüpfen. Vielleicht eine Prinzessin?“, lacht sie wieder fröhlich und ansteckend.
Letzteres animiert mich zur Frage, welche Rolle Nada gerne einmal spielen wolle. Und prompt erhalte ich auch die Antwort: „Zauberfee! Ich würde alles bunt machen und den Menschen ein Lächeln zaubern… Und Mut machen!“, ergänzt sie einen kurzen Moment später.
Hast du denn einen Herzenswunsch?, frage ich nach.
„Keinen wirklich großen…Meine Kinder und ich sollen gesund und glücklich bleiben.“ Dann zögert sie und wird zum ersten Mal ernst an diesem Nachmittag. „Doch, ich habe einen Wunsch…“, sagt sie, „Ich wünsche mir, dass meine Kinder nicht in meine Fußstapfen treten, wie man immer so schön sagt, sondern neben mir herlaufen, auf Augenhöhe. Vielleicht haben sie das ein oder andere von mir lernen können. Ich bin ja schon viele Umwege gegangen, bevor ich angekommen bin.“ Ich höre Nadas leisen Worten zu und spüre, dass sie von ihrer Suche nach Liebe und Anerkennung erzählt.
Neben ihrem heiß geliebten Hobby, dem Modeln, hat Nada noch eine Fülle anderer Interessen. Sie geht sehr gerne in die Natur, hört Musik, reist mit dem Zug durch die Lande. Sie backt und kocht leidenschaftlich gern, probiert Neues aus und führt, wie sie betont, mit Schwung und guter Laune ihren Haushalt. „Okay, bloß nicht perfekt. Manchmal habe ich einfach keine Lust zum Putzen. Das macht mir heute kein schlechtes Gewissen mehr.“, frohlockt sie und zieht dabei schelmisch ihre Stirn in Falten. „Ich dekoriere leidenschaftlich gerne mein Haus und räume auch spontan die Möbel um. So bin ich eben!“, lacht sie wieder.
Ja, so ist Nada. Sie kann sich für so vieles wunderbar begeistern, wie auch ich an diesem Nachmittag immer wieder erfahre. „Und“, ergänzt Nada, „wenn ich viel Bewegung brauche, dann mach ich einfach Hula Hoop Dance. Schon mal probiert?“, fragt sie mich. Ich glaube, diesem Energiebündel bin ich nicht gewachsen.
Nada bleibt mit jedem ihrer Sätze authentisch. Sie macht es mir leicht, dieses Interview zu führen. Wir unterhalten uns angeregt und offen über unsere Mädchenträume, die erste Liebe, über noch unerfüllte Wünsche, über unsere Kindern, tauschen Erfahrungen über unsere Rollen als berufstätige Mutter, Ehefrau, Partnerin und bemerken gar nicht, wie die Zeit verfliegt.
Als ich Nada an diesem Sonntag bitte, mir zum Abschluss unseres Gesprächs noch drei Sätze zu vervollständigen, scheint bereits die Abendsonne in das kleine gemütliche Café. Mein Gegenüber schaut mich erwartungsvoll an und ergänzt dann:
Ich kann besonders gut
– mit Menschen umgehen, auf Menschen eingehen und lachen.
Andere denken über mich
– das interessiert mich nicht.
Ich bin einzigartig, weil
– ich kroatisch chaotisch und im Kopf positiv und bunt bin.
Ich schaue auf die High Heels an Nadas Füßen. Recht hat sie!
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Nada, geboren 1966, Model, Best Agerin,
Interview: März 2018